TAKE A CHILD TO CHILDRENS‘ THEATRE TODAY
Das Obs Family Festival findet im März 2015 in einem ehemaligen Kirchengebäude in Observatory statt, einem ehemals ‚weißen Stadtteil‘. 25 Jahre nach Ende der Apartheit lebt dort eine leicht gemischte Community. Die die kleinen Häuser umgebenden Mauern sind mit Stacheldraht versehen, Hoftore werden via Fernsteuerungen in Gang gesetzt, Türen mit Code-Sicherheitssystemen geöffnet, jedes Haus wird von einem Hund bewacht. Man verbringt unendlich viel Zeit mit dem Öffnen und Schließen von Türen. Ein weiterer Spielort des Festivals ist das in den 70igern erbaute BAXTER Theater, das der hiesigen Universität angeschlossen ist. Das großzügige Gebäude mit drei Bühnen war ehemals Menschen mit weißer Hautfarbe vorbehalten; im März 2015 beherbergt es zum ersten Mal das ZABALAZA Festival, das rund 50 Produktionen von über 400 Künstler_innen aus 30 verschiedenen Gegenden, ausschließlich Townships, präsentiert. Es sind kraftvolle Arbeiten, die persönlichen Geschichten aus der Zeit der Sklaverei und Apartheit nachgehen, in denen Genderthemen (von Männern) offensiv debattiert und von verlorenen Träumen der black community erzählt wird. Kinder sind als Zuschauer_innen manchmal dabei; ein etwa 5-jähriges Kind sitzt auf dem Schoß seiner Begleitperson sitzt hinter mir in einer Aufführung über häusliche Gewalt durch den Ehemann; er spricht am Ende reuevoll von ‚lost dreams‘, von der Stagnation, in der er lebt.
Beim Obs Family Festival warten wir vor der Kirche auf einen zweiten Bus mit Kindern aus einem Township, die sich Einstein for beginners vom teater Petraska aus Dänemark anschauen wollen. Die Veranstalter spielen in einem Vorgarten mit den bereits angekommenen Kindern, reichen Trinkwasser. 1 ½ Stunde später kommt endlich der verspätete Bus, die Vorstellung beginnt. Einen Tag darauf kündigt sich überraschend ein Lehrer mit 200 Kindern an: er will in 2 Tagen kommen. Aber es ist keine Aufführung für diesen Zeitpunkt programmiert, das Theater hat Platz für vielleicht 120 Gäste. Die Veranstalter versuchen schnell einen passenden Aufführungsort für Produktion und Gäste zu organisieren. „Warum macht ihr das?“ frage ich die ASSITEJ-Mitarbeiter_innen. „Weil wir 200 Kindern die Möglichkeit geben wollen, ein Kindertheaterstück anzuschauen.“
Das Land der Kontraste
In Südafrika gibt es etwa 15 Theatergruppen, die sich ausschließlich dem Theater für Kinder widmen. 11 offizielle Sprachen werden gesprochen, die Stücke werden zumeist in mehreren Sprachen gespielt. Das Theater in seiner Gesamtheit speist sich aus vielen Kulturen. Schauspieler_innen und Tänzer_innen brillieren mit der Üppigkeit ihrer Erzähltradition und mit der einen in den Bann ziehenden Rhythmik des physischen Theaters sowie mit atemberaubend wundervollem Gesang. Dann sind wiederum deutlich europäische Sprechtheatertraditionen zu erleben, in anderen Stücken zeigt sich der Einfluss der von den NOGs entwickelten Praxis eines aufklärerisch-didaktischen Theaters: „Wir waren gefragt Stücke über Aids und Wasser zu machen. Die Kraft des Utopischen, der Fantasie … das war nicht gefragt. Wo sie geblieben ist? …“ meint Gerald Bester vom Hillbrow Theatre Project in Johannesburg.
Das Obs Family Festival zeigt all dies in seiner Widersprüchlichkeit und Ungleichzeitigkeit. Programmiert ist auch das wunderschön gespielte Nomvula (4+) von Thando Doni – ein Stück über Wasser. Der Verschmutzung des Planeten wird schließlich zusammen mit den (dazu animierten) jungen Zuschauer_innen ein Ende gesetzt.
Das Theater der Ungleichzeitigkeit
In Nelson Mandelas Biographie spiegelt sich die Geschichte (des schwarzen) Südafrikas. Jenine Collocott und Nick Warren schreiben über Mandelas Kindheit und fragen: ‚Wie wurde er zu dem was er war?‘ Collocott inszeniert ihre Geschichte als Erzähltheater mit drei Spieler_innen und verwendet Holzmasken für die Darstellung von Figuren. Das Stück liefert gerade für die nachwachsende Generation, die Mandela nur noch als Mythos (wenig) kennen, wichtige Informationen. Ihm zugrunde liegt aber auch die Frage: Was macht einen Menschen trotz aller Widrigkeiten zu einer so starken Persönlichkeit?
Konträr dazu steht Halbbread Technikque DIY / Post von Martin Schick, ein Stück ohne Schauspieler. Der 40-minütige Ablauf wird durch von Zuschauer_innen vorgelesene Spielanweisungen strukturiert, die der Autor in einem Paket zu Beginn der Performance auf die Bühne bringen lässt. Am Ende tanzt etwa die Hälfte des Publikums auf einem Viertel der Bühne, das für die Performance zur Verfügung stehende Geld ist an die Akteure verteilt worden. Im Anschluss folgt eine Diskussion mit der Kuratorin über Fragen wie: ‚Was kann man wie teilen?‘ und die klare Botschaft: ‚Bringt Teilen nicht das eigentlich Wesentliche den Menschen, nämlich (das) Glück (des Teilens)?‘ Den Macher_innen geht es um die kritische Debatte über Finanz- und Gesellschaftssysteme und den globalen Kapitalismus.
Fruit von Paul Noko sowie Secret Flames (UKAO / Sisipho Mbopa) (13+) thematisieren Vergewaltigung und Inzest. In beiden Stücken sind es Mädchen, die Gewalt erfahren und Männer, die sie ausführen. Beide Inszenierungen nehmen die Perspektive der Opfer ein, die ihre Geschichte – ohne die physische Anwesenheit der Täter auf der Bühne – selbst aufdecken. Die äußerst intensiven Darstellungen beziehen ihre Kraft völlig aus dem Spiel der Darstellerinnen. Sie erzählen mit Wort, Bewegung und Gesang vom Leid ihrer Figuren und ganz zum Schluss von deren festen Entschluss zu einem Aufbruch in eine (ungewisse) Zukunft.
In Lingua Franca (16+) spannen 10 jungen Künstler_innen – Mawande Manez Sobethwa, Ncedisa Jargon Mpemnyama, Lwanda Sindaphi and Mbongeni Nomkonwana, zum größeren Teil people of coloured – einen aufregenden Bogen zwischen tradierten und zeitgenössischen Formen afrikanischen Theaters, indem sie klanglich und textlich Slam-Poetry und traditionelles Liedgut kombinieren. Sie selbst verstehen sich als poetry movement, deren Mission es u.a. ist: „To speak against the injustices of this world. To contribute in making this country and continent better.“ In Lingua Franca brodelt der Unmut dieser jungen Generation über bestehende Verhältnisse in einem strengen Rhythmus und in der formalen Strenge ihres Setting.
Die junge Poetry-Texterin Koleka Putuma nimmt mit ihrer Gruppe Velvet Spine beim Festival Infecting the city satirisch die Gier junger Frauen sich um jeden Preis in den Medien produzieren zu wollen und die Vermarktungsstrategien des www und moderner Medien auf’s Korn. Ihre Absicht: „Yellow sunday (…) aiming to start a dialogue around how artists can utilise political material without censorship on the part of the artist, or defamation of the government.“
Die junge Künstlerin Joanna Evans zeigt in Patchwork (1-4) zeigt eine assoziative Geschichte rund um das Thema ‚Zu-Bett-Gehen‘. Diese Art der assoziativen Inszenierung, die mit Atmosphären und Sprachkürzeln arbeitet, ist in Südafrika völlig neu. Das gilt auch für die Inszenierungen Into the farytale (4-11), bei der die Besucher_innen blind durch einen Parcour geführt werden, und Pushmi Pulli (1-6) von Bulelani Mabutyana, in der von zwei Tänzerinnen gespieltes Doppelwesen die nicht trennbare Zweisamkeit mal verärgert und dann wieder freudig durchlebt.
In Südafrika ist die Theaterlandschaft für junges Publikum im Um- und Aufbruch, ihre Stücke erzählen von Gewalt, vom Traum und der Hoffnung auf … : die Regenbogennation. Im Hintergrund agiert Yvette Hardie, die vernetzt, konkrete Arbeitsmöglichkeiten für Künstler_innen fördert, Nachwuchskünstler_innen (und mich) mit Kindern im Township vor Ort arbeiten lässt, Textentwicklungen berät, Lehrer_innen bei einem Glas Wein vor deren Vorstellungsbesuch vom Wert des Theaters für Kinder überzeugt, Requisiten und ihre Gäste aus Europa von A nach B fährt. Sie mischt sich ein.
© Text wie Fotos Gabi dan Droste
Residency in Kapstadt und Johannesburg (Südafrika) 2015 „Dance and Theatre for Young Audiences specialist, Gabi dan Droste paid our shores a visit on Thursday to host a workshop and discussion at the National School of the Arts. She spent a few days in Johannesburg engaging with the performing arts community and sharing some of her work and experience working in theatre and dance for young audiences in Germany and across Europe.“ (Yvette Hardie, President ASSITEJ SA and President International ASSITEJ)
Förderer der Residenz Goethe Institut Johannesburg, Magnet Theatre Cape Town, ASSITEJ South Africa
Eine gekürzte Fassung dieses Textes ist hier erschienen: Gabi dan Droste (2015): «Take a child to children’s theatre today. Theater für junges Publikum in Südafrika», In:
IXYPSILONZETT Magazin für Kinder- und Jugendtheater 10/2015, 18-19.